Wie beeinflussen Warnungen unterschiedliche Parameter des Fahrerverhaltens? – 4 experimentelle Studien
Impact of alerts on different parameters of driving behaviour – 4 experimental studies
Prof. Dr. B. Schlag; Dr.-Ing. M. Mai, Dresden;
Dr. rer. nat., Dipl.-Psych. G. Weller; Dipl.-Psych. F. Schreiber, Leipzig;
Prof. Dr.-Ing. G. Prokop; Dipl.-Psych. D. Deutsch; Dipl.-Psych. T. Grün, Dresden;
Dipl.-Psych. P. Rehbein, München;
Dipl.-Psych. M. Ringhand, Braunschweig
Differenziertes Wissen um das Fahrerverhalten in unterschiedlichen Verkehrssituationen und um die Reaktion auf unterschiedliche Warnungen sind zentrale Voraussetzungen zur Entwicklung eines empirisch geprüften Fahrerverhaltensmodells und zur Wirksamkeitsbewertung von Fahrerassistenzsystemen (FAS). Prototypisch wird in den berichteten Studien innerhalb eines Fußgängerszenarios das Reaktions- und Bremsverhalten von Fahrzeugführern ohne und mit unterschiedlichen Warnungen geprüft. Durchgeführt wurden vier experimentelle Studien, über deren Methodik und Ergebnisse berichtet wird. In diesen Studien wurden unterschiedliche Parameter des Fahrerverhaltens in Normal- und in Gefahrensituationen erfasst. Dazu gehören Parameter des Blickverhaltens, Dringlichkeitsschwellwerte der optischen Variable τ für die Bremspedalbetätigung und die Gaspedalrücknahme, optische Erfassungszeit, Reaktions-Grundzeit
und motorische Umsetzungszeit. Für diese Parameter wurden anhand von Labor- und Simulatorstudien Kennwerte ermittelt, die weiterer Forschung zugrunde gelegt werden können. Eine praktische Prüfung erfolgte in einem Realfahrversuch, bei dem der Einfluss von Warnungen auf diese Wahrnehmungs- und Reaktionsparameter untersucht wurde.
The central prerequisite both for the development of an empirically tested driver behaviour model and for the evaluation of advanced driver assistance systems (ADAS) is a differentiate knowledge of driver behaviour in different traffic situations and driver reaction to various warnings. The studies presented here contribute to the development of such an empirically validated model. Prototypically this is shown with differences in reaction and braking behaviour following no and different warnings in a pedestrian use case. To this aim four experimental studies were conducted and their methods and results are reported. In these studies various parameters of driving behaviour were assessed in critical and non-critical situations. The collected parameters comprise parameters of gaze, critical values of the optical variable τ for brake pedal and accelerator operation and values for visual perception, reaction base-time and motor reaction time. For these parameters characteristic values were assessed in laboratory and simulator studies. These values can further be used as baseline for future research. The values were tested and validated in an experimental real-car study. In this study the effect of warnings on these perception and reaction parameters was assessed.
Feldstudie zur Erprobung einer Vorderen Bremsleuchte am Flughafen Berlin-Tegel
Field study investgating a frontal break light at the Airport Berlin-Tegel
M. Monzel; K. Keidel; Prof. Dr. W. Schubert; Prof. Dr. R. Banse, Bonn
Kann die Vordere Bremsleuchte Fußgängern und anderen Verkehrsteilnehmern die Wahrnehmung kritischer Verkehrssituationen erleichtern und so die Verkehrssicherheit erhöhen? In einer längsschnittlichen Feldstudie wurde überprüft, welche Effekte die Vordere Bremsleuchte in einem abgeschlossenen Verkehrsbereich, dem luftseitigen Teil des Flughafens Berlin-Tegel (TXL), auf die Verkehrssicherheit hat. Dafür wurden 102 Fahrzeuge für einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten mit einer Vorderen Bremsleuchte ausgestattet und 197 Mitarbeiter vor und nach dieser Testphase zu ihren Erfahrungen mit und ihrer Einstellung zu der Vorderen Bremsleuchte befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Vordere Bremsleuchte nur selten zu Situationen geführt hat, in denen es zu Missverständnissen kam, und häufiger zu Situationen, in denen sie die wahrgenommene Verkehrssicherheit erhöht hat. Die Einstellung zur Vorderen Bremsleuchte war schon in der ersten Befragung sehr positiv und verbesserte sich darüber hinaus signifikant über die dreieinhalb Monate des Feldversuches hinweg. Insgesamt beurteilt eine große Mehrheit der Versuchsteilnehmer die Vordere Bremsleuchte nach praktischer Erfahrung positiv und ist der Meinung, dass sie die Verkehrssicherheit erhöht und die Kommunikation zwischen Fahrzeugführern und anderen Verkehrsteilnehmern verbessert.
Is the frontal brake light able to facilitate the pedestrians’ anticipation of dangerous traffic situations and consequently able to increase road safety? In a longitudinal study, the authors assessed the effects of the frontal brake light on road safety in an enclosed traffic zone, the downstream part of the Airport Berlin-Tegel (TXL). Therefore, for a period of three and a half months, 102 vehicles were provided with frontal brake lights and before and after this test period 197 staff members were questioned about their attitudes towards and their experiences with the frontal brake light. The results show that the frontal brake light has rarely been observed in situations in which it led to misunderstandings and more often in situations in which it was able to improve road safety. The attitude towards the frontal brake light has already been positive during the first interview and improved significantly beyond the measurement period. Overall, after three and a half months of experience, a great majority of participants evaluates the frontal brake light positively and states that it increases road safety and improves communication between drivers and other road users.
Ergebnisse einer Befragung zur Fahrkompetenz, individuellen Kompensationsstrategien, sowie der Akzeptanz von Fahrkompetenz-Rückmeldefahrten bei älteren Autofahrern
Results of a questionnaire study on older drivers‘ driving skills, compensation strategies as well as acceptance of on-road tests with individual feedback
Dr. K. Schleinitz; Dipl.-Psych. J. Berthold; Dipl.-Psych. L. Rößger, Dresden
Der Erhalt der Mobilität spielt für ältere Personen einen wichtige Rolle. Allerdings werden potenzielle Auswirkungen des zunehmenden Alters auf die Fahrfähigkeit dieser Personengruppe immer wieder kritisch betrachtet. Als eine Möglichkeit zur Erfassung und zum Erhalt der Fahrkompetenz wird die Fahrkompetenz-Rückmeldefahrt diskutiert (Brockmann 2017). Das Ziel dieser Studie bestand darin, die Fahrkompetenzen von älteren Pkw-Fahrern, deren Kompensationsmöglichkeiten und ihre Bewertung einer Rückmeldefahrt mittels Befragung zu erfassen. Hierfür wurden 178 Pkw-Fahrer mit einem Durchschnittsalter von 71,6 Jahren (SD = 5,5, 74 % Männer) vor und nach einer Rückmeldefahrt befragt. Die Mehrheit der älteren Fahrer wurde durch die Experten als sichere Verkehrsteilnehmer eingestuft. Die Teilnehmer gaben an, vor allem während der Fahrt ihr Verhalten an die Altersdefizite anzupassen. Technische Unterstützung wird dagegen selten genutzt. Die Fahrkompetenz-Rückmeldefahrt wurde von den meisten als positiv bewertet und die Hinweise als hilfreich angesehen, sodass sie gern wieder eine Rückmeldefahrt in Anspruch nehmen würden. Insgesamt zeigt sich, auch wenn die Fahrkompetenz der älteren Fahrer im höheren Bereich lag, wurde die Fahrkompetenz-Rückmeldefahrt als wertvoll erlebt.
Elderly people want to stay mobile, however, their fitness to drive is an issue of an ongoing debate. As a way to assess and maintain driving skills, on-road tests with individual feedback through experts are discussed (Brockmann 2017). The present study aims for assessing driving skills and compensation strategies of elderly car drivers as well as for evaluating the on-road test with individual feedback. In this study 178 car drivers with a mean age of 71.6 years (SD = 5.5, 74 % men) responded to a questionnaire before and after an on-road test. The results show, that most of the older drivers have been evaluated as safe drivers by the experts. The drivers stated, that they adapt their behaviour according to their age-related declines. However, they rarely use technical assistance. The on-road test with individual feedback has been perceived as positive by the elderly drivers. The participants assessed furthermore the remarks of the experts as helpful and stated that they became more sensitive for their individual flaws and mistakes. Most of the drivers would do the on-road test with individual feedback again. Even if the driving skills of the participants were mostly at a high level, the on-road test with individual feedback was perceived as a valuable measure.
Automatisiertes Fahren – Neue Anforderungen an die Kraftfahreignung?
Automated Driving – New Criteria for the Fitness to Drive?
Dipl.-psych. Dr. rer. nat. K. Müller, Stuttgart;
Dipl.-Psych. Caroline Reimann, Berlin;
Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. T. Wagner, Dresden
Im Zuge des von der Automobilindustrie angestrebten raschen Wandels zum automatisierten Fahren stellt sich die Frage, in welchem Maße sich die Anforderungen an den Fahrer als Nutzer von automatisierten Systemen verändern. Im Hinblick auf die Kraftfahreignung eröffnet dieser Beitrag eine Diskussion darüber, welche Aspekte der geistigen, körperlichen und charakterlichen Eignung des Fahrers im Zuge der Automatisierung der Fahrzeuge neu definiert, operationalisiert oder auch nur angedacht werden müssen. Mit Blick auf die bislang geltenden Fahrverhaltensmodelle werden Konzepte der Kognitions- und Ingenieurpsychologie diskutiert, die bei der Entwicklung „neuer“ Eignungsanforderungen von Bedeutung sind. Einen Bezugspunkt bilden dabei mentale Modelle nach Johnson-Laird (1981). Aber auch spezifische Probleme, die im Zuge der Entwicklung des Fahrers vom aktiven Operateur zum Überwacher eines automatisierten Systems eine Rolle spielen, werden in diesem Beitrag angesprochen. Dazu zählen neben dem (übermäßigen) Vertrauen in das System der Kompetenzverlust und das Situationsbewusstsein sowie mit Letzterem auch die sog. Out-of-the-loop-Effekte. Abschließend werden erste Forderungen an Eignungskriterien aufgestellt, die aufgrund der fortschreitenden Automatisierung im Vergleich mit den bisherigen an Bedeutung gewinnen.
Since the automotive industry pursues a rapid change towards automated driving, the question arises how this affects the requirements for the driver as a user of automated systems. This article opens a discussion on which aspects of the driver‘s mental, physical and personal fitness need to be redefined, operationalized or just considered in the course of vehicle automation. With regard to the current driving behavior models, concepts of cognitive and engineering psychology are discussed, which are important in the development of „new“ driving fitness requirements. One point of reference are the mental models by Johnson-Laird (1981). However, we want to address specific issues that can be important for the development of the driver who used to be an active operator and will become the monitor of an automated system. In addition to complacency, this includes loss of competence and situational awareness as well as out-of-the-loop effects. Finally, we suggest new criteria for driving fitness, which are gaining in importance compared to the previous ones due to the progressing automation
Funktionale Sicherheit und Sicherheit der Funktion bezogen auf Hochautomatisierung im Straßenverkehr
Dipl.-Ing. J. Bönninger; Dipl.-Ing. A. Stoller, Dresden
In Ergänzung zum Beitrag von Klingner et al. „Sicherheit des autonomen Fahrens“ (ZVS 5/2017) möchten wir die Betrachtung der Absicherung von hochautomatisierten Fahrfunktionen um den Aspekt der Sicherheit der Funktion erweitern. Zusätzlich zu den durch die Funktionale Sicherheit abgedeckten Risiken durch Fehler in E/E-Systemen eines Fahrzeuges ist auch eine Gefährdung aufgrund der Grenzen der Leistungsfähigkeit des Systems möglich. Im Folgenden soll dies kurz am Beispiel eines schwerwiegenden Unfalls eines Tesla (Mai 2016) deutlich gemacht werden.